KONZERTE NEU DENKEN: Konzertprogramme und Dramaturgie gestalten

Um ein Konzertprogramm zu gestalten, benötigt man einen Ausgangspunkt. Häufig sind das ein gewünschtes Stück, ein bestimmter Anlass oder ein Thema, um welche herum man ein Programm entwickeln möchte. Dazu analysiert man zunächst seinen Ausgangspunkt auf bestimmte Anteile: Bei einem Stück notiert man z.B. Inhalt, Bedeutung, Gestus, Wirkung, Komponist*in, Entstehungsgeschichte, Epoche, Stilistik, Land, Besetzung, Dauer; bei einem Thema oder Anlass z.B. Bedeutungsebenen, Unterthemen oder Wirkungen, Besetzungen und Kompositionsstile (z.B. bei Epochen), Zeitgenoss*innen, Lebensphasen und Werk-Besetzungen (bei Komponist*innen) oder Komponist*innen und typische Themen (bei Ländern oder Regionen).  

Nun sucht man sich einen dieser Aspekte heraus und sammelt weitere Stücke, in denen dieser Aspekt zentral ist – und der schließlich auch den roter Faden des Konzerts darstellen kann. Welcher Aspekt ist in Konzerten generell noch unterrepräsentiert? Was könnte die Zielgruppe interessieren? In welchem Bereich möchten wir Zeit in eine Recherche investieren? 

Auch wer noch gar keine Idee hat, kann so starten und (auch in der Gruppe) sammeln: Was wollten wir schon immer mal aufführen? Was liebt das Ensemble? Was sind Themen, die uns interessieren? Welche Effekte und Wirkungen haben mir in einem anderen Konzert mal gefallen? Außerdem ist es hilfreich zusätzlich zu sammeln, was das Ensemble musikalisch weiterbringen würde und was aktuelle Themen der Zeit oder Jahreszeit sind. Anschließend entscheidet man sich für einen Aspekt und beginnt ihn wie oben zu umkreisen und auf seine Tragfähigkeit zu überprüfen.  

Egal, was als Startpunkt genutzt wird, die erste Sammlung wird zunächst Ideen innerhalb des eigenen Horizonts hervorbringen, jedoch Richtungen andeuten, die darüber hinaus gehen. Daher ist es sinnvoll diese erste Sammlung etwas reifen zu lassen, über eine längere Zeit hinweg Ideen hinzuzufügen und zu den gewählten Aspekten zu recherchieren. Dazu können z.B. Alben oder Konzertprogramme von Profi-Ensembles zu ähnlichen Themen oder mit ähnlichen Werken genutzt werden. Recherchieren kann man auch mit den Themen und Texten in andere Sprachen übersetzt, womit man weitere musikalische Pools eröffnet. 

Zum Reifeprozess eines Konzertprogramms gehört außerdem, sich die Wirkung des Konzerts zu überlegen: Soll es anregen? Soll eine bestimmte Atmosphäre entstehen? Gibt es interaktive oder meditative Momente? Welche Stücke werden also noch benötig? 
Auch die Ausgewogenheit des Repertoires ist wichtig. So sollten die Stücke verschiedene Facetten zeigen und zumindest gruppenweise in ihrem Gestus abwechslungsreich sein. Hier kann man z.B. alte und neue Musik kombinieren, bekannte und unbekannte Werke, Kompositionen von Größen und von Nachwuchs, Internationales und Regionales. Auch ist es zeitgemäß, ein besonderes Augenmerk auf den Einbezug von Werken von Komponistinnen zu legen, die damals wie heute wunderbare Musik geschrieben haben. 

Steht das Repertoire grob, geht es nun um die Anordnung der Stücke. Meist empfinden wir zwei Stücke nacheinander als schlüssig, wenn es ein verbindendes Element (z.B. das Thema „Tanz“) gibt – das jedoch aus einer anderen Perspektive dargestellt oder weiterentwickelt wird (z.B. zwei Volkstänze aus unterschiedlichen Ländern). 

Stücke sollten sich in ihren Ideen und/oder Wirkungen entweder kontrastieren oder etwas etablieren und weiterentwickeln. Letzteres gibt den Stücken Wirkungsraum und Ideen können weitergesponnen werden. Jedoch sollte auch nicht zu lange mit einem Kontrast gewartet werden, da sonst die Aufmerksamkeit des Publikums und des Ensembles schwindet. So entsteht ganz automatisch ein dramaturgischer Verlauf, mit Spannungsanstiegen und Entladungsmomenten. 

Eine Methode, die einem Konzert einen Rahmen gibt, ist das Verschränken eines mehrsätzigen Werks mit weiteren Einzelwerken, die manchmal Ideen und Stimmungen weitertragen, manchmal einen gegenteiligen Ausdruck darstellen. Es können auch zwei mehrsätzige Werke miteinander verschränkt und abwechseln musiziert werden – etwa ein Chorwerk mit einem Werk für Soloinstrument. 

Besonders wichtig sind das Eröffnungsstück, das Schlussstück sowie die Stücke vor und nach einer Pause. Eröffnungsstücke sollten entweder schlagartig die Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder eine besondere Atmosphäre schaffen, die das Publikum sammelt und konzentriert. Schlussstücke können energetische „Rausschmeißer“ oder auch besonders emotionale Stücke sein; hier ist es schön, wenn alle Beteiligten noch einmal gemeinsam musizieren. Sperrige, ungewöhnlichere Werke eignen sich eher für die Bögen dazwischen, in denen bereits Konzentration herrscht und noch keine Spannungsentladung nötig ist. 

Nach einem Finale kann in einer Zugabe auch noch ein gemeinschaftsstiftendes oder auch ganz schlichtes Stück folgen, das das Publikum beseelt in den Abend entlässt. 

In diesem Kontext sollte auch überlegt werden, an welchen Stellen die Spannungslösung durch Applaus in den Verlauf passt oder zu viel Applaus die Spannung senkt. Hier können kleinere Gruppen von Stücken helfen, die dem Publikum intuitiv ein Klatschen nur am Ende jeder Gruppe nahelegen. 

Um passende Stückabfolgen auszutesten, können die Werke auf Karten geschrieben werden, die man vor sich auf einen großen Tisch legt. Nun kann man die Stücke hin und her bewegen und an verschiedenen Stellen im Programm platzieren. Diese Methode hilft dabei, sich einen Ablauf anschaulich vorzustellen, zu Ende zu denken und zu identifizieren, wo noch ein Stück mit bestimmtem Charakter fehlt oder rausgeworfen werden sollte. So können mehrere Programm-Möglichkeiten abgewogen und Spannungsabfälle vermieden werden.  

Nun kann das Programm noch in einen außermusikalischen Rahmen gebracht werden, etwa mit Moderationen, Texten, der Verschränkung mit weiteren Künsten, Choreografien, Dekorationen oder besonderen kulinarischen Ideen.  

Ehrungen – insbesondere vieler Personen – sind für das Publikum meist nicht interessant und es lohnt sich, über eine eigene Ehrungsveranstaltung nachzudenken. Möchte man trotzdem den öffentlichen Moment nutzen, können Ehrungen langjähriger Mitglieder ins Konzert verwoben werden z.B. in Anmoderationen von Stücken stattfinden, die mit der Person in Verbindung gebracht werden. Auch Danksagungen am Ende eines Konzerts sollten so präzise wie möglich sein und gut vorbereitet werden. 

IMPULSFRAGEN

Von welchem Aspekt oder Stück möchten wir für das Konzertprogramm ausgehen?
Welche Effekte und Wirkungen haben mir im Konzert eines anderen Ensembles gut gefallen?
Wer hat vielleicht vor uns schon einmal ein Programm/Album zum Thema gemacht?
Warum „passt“ ein Stück zum anderen?
Welche Wirkung könnten die Stücke zum Eröffnen und Beenden des Konzerts sowie vor und nach der/den Pause(n) haben?
Wie könnte der Spannungsverlauf im Konzert aussehen?
Wie viele Anordnungsmöglichkeiten habe ich mit dem Repertoire?
Haben die Stücke Entfaltungsraum, es ist aber auch abwechslungsreich?
Wo könnte die Konzentration des Publikums abfallen?
Welcher außermusikalische Rahmen könnte dem Programm zuträglich sein z.B. bestimmte Texte, performative Elemente, Getränke etc.?
Wie können wir Ehrungen möglichst kurzweilig gestalten oder ins Programm einbinden?