Missverständnissen vorbeugen und Probleme lösen

Wenn nicht alle gleich ticken, ist es im Ensemble besonders wichtig eine Kultur der gegenseitigen, offenen Rückmeldung zu etablieren. Wie das funktionieren kann, soll folgender Beitrag zeigen.

Im Ensemble treffen sich verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Bedürfnissen. Das bedeutet in der Regel eine anregende Vielfalt und eine lebendige Gemeinschaft. Manchmal aber, vor allem wenn diese Unterschiede nicht offen und rechtzeitig miteinander besprochen werden, macht sich Unmut und Ärger, unterschwellige Kritik und schlechte Laune breit. Es kommt im schlimmsten Fall zu festgefahrenen Fronten oder dazu, dass Personen das Ensemble verlassen.

Gerade in Zeiten der Pandemie bietet sich eine große Angriffsfläche für solche Konflikte. Aber auch darüber hinaus können verschiedene Ansichten zur Organisation im Ensemble oder einzelne Personen, die alle Aufgaben für sich beanspruchen, eine schlechte Stimmung hervorrufen. Damit das nicht passiert, ist es wichtig, eine Kultur der gegenseitigen offenen Rückmeldung zu etablieren.

Der vorliegende Artikel entstand auf Grundlage der Veranstaltung „Ausgefuchst! Wissen. Praxis. Austausch. – Wenn nicht alle gleich ticken. Missverständnissen vorbeugen und Probleme lösen“ vom 18. Mai 2022 mit Susanne Fuchs (Supervisorin und Mediatorin, Bremen) und Mateusz Phouthavong (Musiker und Coach, Würzburg).

Inhalt

Was sind Konflikte?

Konflikte entstehen zwischen mindestens zwei Parteien durch deren unerfüllte Bedürfnisse, die sich nicht miteinander vereinen lassen. Sie können in jedem Lebensbereich aufkommen, also auch während, vor oder nach dem gemeinsamen Musizieren. Konflikte beruhen immer auf subjektiven Erfahrungen:  Was den/die eine*n stört, nimmt der/die andere gar nicht wahr. Werden wichtige eigene Bedürfnisse nicht erfüllt, kann das zu Ärger und Wut gegenüber der/den anderen Partei/en führen.

Welche Parteien können im Ensemble an Konflikten beteiligt sein?

Wie auch in der Gesellschaft stehen sich im Ensemble die individuellen Persönlichkeiten und die Gruppe in ihrer Gesamtheit gegenüber. Beide bedingen sich gegenseitig: Engagiert der/die Einzelne sich nicht (egal ob musikalisch oder organisatorisch), kann auch das Kollektiv kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen. Ein „Wir“-Gefühl, eine Identifikation mit dem Ensemble entsteht dann, wenn jede*r sich auf seine/ihre Weise einbringt. Doch dabei steigt gleichermaßen das Risiko von Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten. Folgende Konflikt-Konstellationen könnten sich ergeben:  

  • zwischen zwei Personen im Ensemble (persönlich/aufgrund ihrer Position/Rolle im Ensemble) 
  • zwischen Gruppen innerhalb des Ensembles (gruppendynamisch, z.B. zwischen Stimmgruppen/Registern) 
  • zwischen Ensemble(-Mitgliedern) und Leitung (Vorstand, musikalische Leitung, persönlich oder aufgrund ihrer Position/Rolle im Ensemble) 
  • Mischformen 

Welche Spannungsfelder können im Ensemble entstehen?

Im Amateurmusikensemble kommen Menschen in ihrer Freizeit zusammen, sie treffen sich, weil sie gemeinsam eine gute Zeit haben möchten, aber auch, weil sie voneinander lernen und zusammen etwas auf die Beine stellen wollen. Wie überall, wo Menschen sich begegnen, gilt es, trotz des Prinzips der Freiwilligkeit, sich abzustimmen, miteinander zu kommunizieren und Kompromisse einzugehen, mit denen alle leben können. Solche Absprachen sind wichtig, um eine Basis für das gemeinsame Musizieren zu finden und – nicht zuletzt – um einen fairen Umgang mit kooperierenden Parteien oder auch der eigenen musikalischen Leitung zu pflegen, die nicht selten mit dem Musizieren ihr Geld verdient. Typische Bereiche, in denen es im Ensemble zu Spannungen kommen kann, betreffen deswegen im Besonderen das Feld zwischen Pflichtbewusstsein und Freiraum, zwischen Mitgestaltung und Unabhängigkeit: 

  • Anspruch vs. Einsatz (Spannungsfeld zwischen Moral und Handeln) 
  • Führung vs. Mitentscheidung (Spannungsfeld zwischen verschiedenen Rollen, Verantwortungen, Diktatur vs. Demokratie) 
  • Regeln vs. Freiraum (keine im Voraus bestimmten, festen Regeln/Vorgehensweisen) 
  • Kommunikation vs. Erwartung (nur scheinbare Übereinstimmung, jede/r hält die eigene Haltung für selbstverständlich) 
  • Großzügiges Lob/Anerkennung vs. selbstverständlicher Arbeitseinsatz 

Wie entstehen Konflikte? – Das Inselmodell

Das von Vera Birkenbihl entwickelte Inselmodell macht kurz und knapp deutlich, warum Konflikte entstehen und welche Arten von Lösungen möglich sind. Birkenbihl (1946–2011) entwickelte Lerntechniken und war Sachbuchautorin und Managementtrainerin. 

Das Inselmodell geht davon aus, dass jeder Mensch auf einer eigenen Insel lebt, die seine Erinnerungen, Erfahrungen und Werte beinhaltet. Wenn sich zwei Menschen mit ihren Inseln begegnen, gibt es entweder eine große Überschneidung der Inseln und viele Ähnlichkeiten, sodass eine Unterhaltung als spannend und interessant eingestuft wird und das Gegenüber sympathisch wirkt. Oder die Unterschiede überwiegen, sodass die Inseln weit voneinander entfernt zu liegen scheinen und keine Ähnlichkeit miteinander haben. Im zweiten Fall entsteht Distanz, die schwer zu überwinden ist, weil keine*r der beiden glauben kann, dass sich der/die jeweils andere auf seiner/ihrer Insel wohlfühlt. 

In der Folge können laut Birkenbihl drei unterschiedliche Reaktionen der Gesprächspartner*innen entstehen: Wenn inhaltlich keine Verbindung besteht, bewegen sich die Inseln entweder aneinander vorbei, sie „kämpfen“ gegeneinander oder sie „flüchten“ voreinander.   

Als ideale Lösung geht Birkenbihl von einer Brücke aus, die die Inseln miteinander verbindet und die in der Sache eine Einigung schafft, auch wenn viele Inselinhalte anders sind und das auch bleiben können. Beide Parteien verlassen die eigene Insel und gehen aufeinander zu und es entsteht ein Kompromiss oder der/die eine kann den/die andere*n von der jeweils eigenen Lösung überzeugen. Natürlich kann es auch passieren, dass die Parteien keinen gemeinsamen Nenner finden und das auch so bleibt. Birkenbihl nennt dieses Einigen darauf, dass in einem Punkt keine Einigung gefunden wird, „Zwei-nigen“. Jede*r bleibt auf seiner/ihrer Insel und akzeptiert, dass die andere Insel ebenso ihre Berechtigung hat. Diese Haltung vermeidet persönliche Verurteilungen oder Beleidigungen und lässt beide Positionen so stehen, wie sie sind. 

Wie können Konflikte gelöst werden?

Meinungsverschiedenheiten entstehen, wenn Menschen aufeinandertreffen – ganz egal, in welchem Kontext. Interessenskonflikte sind also nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Um langfristig miteinander auszukommen, sollten Konflikte dementsprechend als ein notwendiger Teil der Kommunikation angenommen und nicht vermieden werden. Die entscheidende Frage ist dabei, wie mit den verschiedenen Meinungen umgegangen wird: Statt ein offensichtliches Problem warten zu lassen, bis es eskaliert und erst dann darauf zu reagieren, sollte es besser frühzeitig und aktiv angegangen werden. Konflikte lösen sich nur selten von allein. 

Kommt es zum Gespräch, ist es wichtig, das Problem miteinander statt gegeneinander zu lösen. Dabei hilft eine konstruktive Haltung gegenüber der jeweils anderen Partei, die möglichst offen und wertschätzend bleibt und bemüht ist, die andere Perspektive zumindest nachzuvollziehen. Schuldzuweisungen oder persönliche Vorwürfe führen nicht zu einer Einigung, stattdessen sollten Sie bei der Sache bleiben und gemeinschaftlich und wohlwollend diskutieren. Bleiben Sie beweglich und lassen Sie eine Veränderung, evtl. ein Abrücken von Ihrer bisherigen Position, zu, statt starr auf Ihrem Standpunkt zu beharren. Laden Sie auf die eigene Insel ein, besuchen Sie die Insel des/der anderen oder treffen Sie sich auf der Brücke. Vieles, was erstmal nicht offensichtlich erscheint, ist möglich. Mit einem freien, neugierigen und ergebnisoffenen Geist entstehen erst die kreativen Lösungen, die mit verhärteten Fronten gar nicht bedacht werden. Lässt sich das Gegenüber ebenfalls darauf ein, frei nach dem Inselmodell „neues Land zu finden“, kann ein Kompromiss entstehen – vielleicht gibt es nicht die ideale Lösung für alle, aber eine, mit der alle leben können.  

Konflikte zu klären muss nicht lästig sein, sondern kann, betrachtet man es aus der richtigen Perspektive, wertvoll für die zukünftige Gemeinschaft sein. Konflikte können ein Ausgangspunkt sein, um Routinen zu hinterfragen und zu diskutieren, sie bieten eine Chance für neue Entscheidungen und können bei erfolgreicher Klärung den Zusammenhalt und die individuelle Identifikation mit dem Ensemble stärken. Auch diese positive Haltung gegenüber einer problematischen Situation kann dabei helfen, mit konstruktiver Besonnenheit aktiv eine Lösung herbeizuführen. 

Kritik üben und Feedback empfangen

Um Konflikte zu lösen, sollte Kritik direkt und offen statt indirekt formuliert werden. Beispiele für mögliche Formulierungen sind: 

  • Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass… 
  • Ich erlebe dich manchmal als… 
  • Ich habe den Eindruck, dass… 
  • Ich würde mir wünschen, … 
  • Mir ist aufgefallen, dass… 

Direkte Kritik bringt die eigenen Bedürfnisse auf den Punkt, anstatt der anderen Partei auf unklare und missverständliche Weise den Eindruck zu vermitteln, dass etwas nicht stimmt (vage Andeutungen, Augenrollen, Ironie, Sarkasmus, Vorwürfe). Offenes Ansprechen von Kritik hilft außerdem dem Gegenüber, sich weiter zu entwickeln. Wenn direkt angesprochen wird, was als störend empfunden wird, kann sich Ärger gar nicht erst anstauen. 

Um Kritik konstruktiv zu formulieren, helfen außerdem folgende Tipps:

  • Geben Sie Feedback nur dann, wenn der/die andere es auch hören kann/will! 
  • Wählen Sie einen geeigneten Zeitpunkt, jedoch möglichst zeitnah. Kündigen Sie an, dass Sie etwas besprechen möchten.  
  • Beschreiben Sie genau und konkret, um welches Verhalten es Ihnen geht, beziehen Sie sich auf Verhaltensweisen, nicht auf Eigenschaften der anderen Person.  
  • Beziehen Sie sich auf aktuelle Geschehnisse, vermeiden Sie Verallgemeinerungen („immer“, „nie“).  
  • Beschreiben Sie, welche Wirkung dieses Verhalten auf Sie hat, benutzen Sie Ich-Botschaften, versuchen Sie deutlich zu machen, dass dies Ihre eigene, subjektive Bewertung ist, keine allgemeine Wahrheit oder Moral.  
  • Formulieren Sie konkret, was Sie sich wünschen und fragen Sie nach, ob die andere Person sich vorstellen kann, Ihren Wunsch zu erfüllen oder Ihnen auf andere Art entgegenzukommen.  

Auch Kritik entgegenzunehmen will gelernt sein: 

  • Kritische Bemerkungen – insbesondere in der Rolle von Vorstand oder Leitung – sollten Sie auf gar keinen Fall ignorieren in der Hoffnung, dass sich das Problem von selbst löst – in der Regel tut es das nicht, sondern das Thema spitzt sich zu und wird erst recht zum Konflikt. Klären Sie diese Themen im Vier-Augen-Gespräch, nicht vor der ganzen Gruppe.  
  • Versuchen Sie, die Rückmeldung als Geschenk zu betrachten, hören Sie sie ruhig an, ohne sich gleich zu verteidigen oder in Gegenkritik zu verfallen. Nehmen Sie sie als Information über die Bedürfnisse der anderen Person, nicht als Information über sich selbst.  
  • Fragen Sie nach, vergewissern Sie sich, ob Sie wirklich richtig verstanden haben, worum es der anderen Person geht, welche Wünsche und Werte dahinterstehen.  
  • Machen Sie deutlich, welche Wünsche Sie erfüllen können und wollen – und welche nicht. Erbitten Sie sich evtl. Bedenkzeit.  

Keine Einigung in Sicht? – Sich Hilfe holen

Manchmal lässt sich trotz Gesprächen miteinander keine Lösung für die verschiedenen Positionen finden, weil niemand von seiner Haltung abrücken will oder das Problem zu komplex und vielschichtig ist. In diesem Fall kann es sich lohnen, sich externe Hilfe zu holen, z.B. durch Mediation.  

„Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“[1] Der/die Mediator*in übernimmt eine moderierende Funktion und führt durch den Prozess, greift aber nicht unmittelbar in den Inhalt ein und kann aktiv keine Entscheidungen treffen bzw. vorgeben. Es werden lediglich die Rahmenbedingungen für einen konstruktiven Austausch geschaffen, das Gespräch strukturiert und die Ergebnisse festgehalten. Im Gegensatz zu einer Gerichtsverhandlung, bei der eine Partei „gewinnt“, oder einer klassischen Kompromisslösung, in der sich die Parteien annähern müssen, ist das Ziel der Mediation ein für alle Beteiligten gleichermaßen befriedigendes Ergebnis. 

Wer ein*e Mediator*in sucht, findet bei mediator-finden.de Unterstützung.

Judith Bock 
Verband Deutscher KonzertChöre e.V. 
Erstellt: Juli 2022
Zuletzt überprüft: Mai 2023