Leitung von Amateurmusikensembles im Gegensatz zu Profis

Viele, die ihren Lebensunterhalt mit der Leitung von Chören, Orchestern oder anderen Ensembles verdienen, haben Musik, z. B. Chor- oder Orchesterleitung, Musikpädagogik oder auch Kirchenmusik, studiert. Dieser Artikel handelt von den Herausforderungen und Chancen bei der Leitung von Amateuren im Vergleich zu Profis.

Profis oder Amateure – wer sitzt vor mir? Diese Frage sollten sich Dirigierende stellen und sich den Herausforderungen und Chancen bei der Leitung von Amateurmusikensembles bewusst sein.

Im Studium werden vor allem Probenmethodik, musiktheoretische Aspekte sowie Instrumentalspiel bzw. Gesang und Stimmbildung vermittelt. Im Rahmen des Unterrichts werden fortgeschrittene, andere Studierende, semi- oder sogar professionelle Ensembles angeleitet. Doch die Zahl an begeisterten Amateurmusizierenden ist höher und die meisten Dirigent*innen leiten im Berufsleben schließlich Amateurensembles oder wechseln im Arbeitsalltag zwischen unterschiedlichen Levels hin und her.

Egal, welches Ensemble ein*e Dirigent*in leitet – er/sie muss sich anpassen. Jedes Ensemble funktioniert anders, besteht aus mehr oder weniger vielen unterschiedlichen Menschen, hat seine eigene Dynamik, eigene Rituale und eine eigene Vorstellung von der Rolle der musikalischen Leitung. Das gilt sowohl für Profis als auch für Amateure. Doch mit welchen Herausforderungen ist das verbunden? Und vor allem: Was ist bei der Leitung von Amateurmusikensembles im Gegensatz zur Leitung von professionellen Musiker*innen zu beachten? Der folgende Beitrag soll einen kleinen Einblick in die Thematik geben.

Inhalt

Musikalischer Anspruch

Angepasst werden muss sich z.B. an das musikalische Niveau des jeweiligen Ensembles. Hier gibt es nicht nur bei Amateuren, sondern auch bei Profis Unterschiede. Während die musikalische Leitung bei professionellen Ensembles aber bei allen Musiker*innen verhältnismäßig hohe Erwartungen anlegen kann, ist die Spanne bei Amateurmusiker*innen größer – sie reicht von Anfänger*innen bis hin zu Semiprofis, manchmal auch innerhalb eines Ensembles. Sind die musikalischen Fähigkeiten in einem Ensemble sehr verschieden, müssen Methoden gefunden werden, diese trotzdem zusammenzubringen. Dazu gehört insbesondere, niemanden durchgehend zu über- bzw. zu unterfordern und Kompromisse zu finden, mit denen alle leben können. Befinden sich im Ensemble alle auf einem ähnlichen musikalischen Niveau, fällt das gemeinsame Musizieren leichter – auch dem/der Dirigent*in.

In aller Regel ist die Arbeit mit Amateurmusikensembles bezogen auf das musikalische Niveau grundlegender. Das Repertoire ist zum Beispiel weniger anspruchsvoll, die Probenzeiten pro Stück sind länger und intensiver, mehr Zeit wird dem korrekten Zusammenspiel gewidmet. Wer als Dirigent*in die Arbeit mit ausgebildeten Musiker*innen gewohnt ist, muss das Ensemble kennenlernen und seine Ansprüche an die Fähigkeiten anpassen. Je nach Persönlichkeiten im Ensemble können hohe Erwartungen an die Musiker*innen anspornend oder abschreckend wirken – häufig ist daher in der Zusammenarbeit mit Amateuren ein Mittelweg gefragt, der alle einbezieht.

Disziplin vs. Freizeit

Wer als professionelle Musiker*in ein Amateurmusikensemble leitet, muss sich darüber bewusst sein, dass er/sie zwar in diesem Moment seinen/ihren Beruf ausübt, die Mitglieder aber in ihrer Freizeit musizieren. Dazu gehört nicht nur, dass sie im Optimalfall jede Woche pünktlich in der Probe sitzen, sondern auch, dass sie zum Proberaum an- und abreisen, dass sie zuhause üben, ihr Instrument pflegen, Noten sortieren und Konzertkleidung zusammenstellen. Hinzu kommen ehrenamtliche Aufgaben und/oder Ämter für die Gemeinschaft wie die Organisation von anstehenden Auftritten, vereinsrechtliche Erledigungen oder Öffentlichkeitsarbeit. Die Amateurmusiker*innen tun das neben ihrem Beruf, neben ihrem Alltag, neben eventuellen weiteren Freizeitaktivitäten – nicht immer und nicht für alle kann deshalb das Ensemble erste Priorität genießen. An ein Ensemble aus Amateurmusiker*innen können also nicht dieselben Erwartungen gestellt werden wie an Profimusiker*innen, die – wie häufig die musikalische Leitung im Amateurmusikensemble – mit dem Musizieren ihren Lebensunterhalt verdienen. Im professionellen Ensemble treffen ausschließlich professionelle Musiker*innen zusammen. Im Amateurmusikensemble trifft meist ein*e professionelle*r Musiker*in auf viele Amateurmusiker*innen. Sich in den Interessen entgegenzukommen ist eine wesentliche Herausforderung bei der Leitung von Amateurmusikensembles.

Natürlich sollen auch im Amateurmusikensemble Ziele gesetzt und erreicht werden, um Motivation zu schaffen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und das Publikum zu begeistern. Aus diesem Grund darf und sollte eine gewisse Disziplin auch hier erwartet werden – wie diese genau aussieht, kann nur individuell ausgehandelt werden.

Andererseits bieten sich in der Zusammenarbeit von Profis und Amateuren große Chancen für beide Seiten. Auch Profimusiker*innen können von den Amateurmusikensembles eine Menge lernen – da die Amateurmusiker*innen selten in Routinen verfallen oder sich an “Dienste” halten müssen, gehen sie meist mit mehr Leidenschaft und Begeisterung an die Musik heran. Die Musizierenden wollen unbedingt dabei sein, sie wollen ihrer Herzensangelegenheit nachgehen und ihre freie Zeit für die Musik aufbringen. Wer als professionelle*r Musiker*in die Amateure ernst nimmt und sich auf sie einlässt, ermöglicht gegenseitige Inspiration und sollte sich darüber bewusst sein, dass er/sie, insbesondere bei der Leitung von Kinder- und Jugendensembles, die Weichen für den Nachwuchs in der professionellen Musikwelt stellen kann. Er/Sie ist damit dazu angehalten, sich in die Perspektive der Amateurmusizierenden hineinzuversetzen, das Ensemble und seine Möglichkeiten differenziert zu betrachten und daraus Motivation für die eigene Arbeit zu schöpfen.

Zu bedenken ist stets, dass Ensembles der Amateurmusik aus einem weiteren, außermusikalischen, für sie aber in der Regel sehr wesentlichen Grund zusammenkommen – sie möchten die Gemeinschaft treffen und pflegen. Je nach Zusammensetzung des Ensembles kann dieser Faktor eine mehr oder weniger große Rolle spielen (z.B. eine genauso große wie die Musik selbst oder sogar eine größere), ist jedoch in aller Regel wichtiger als im professionellen Ensemble.

Vorbereitung von Proben

In den meisten Fällen ist die musikalische Probenarbeit für Dirigent*innen von Amateurmusikensembles anders vorzubereiten als die eines professionellen Ensembles.

Zunächst ist das Repertoire entsprechend dem Niveau und der Besetzung des Ensembles auszuwählen. Auch ein klassisches Amateur-Sinfonieorchester hat nicht in jedem Fall die vollständige Besetzung eines professionellen Orchesters zu bieten. Kommt es also zu Differenzen, z.B. weil ein Instrument fehlt, muss das entsprechende Stück angepasst werden oder für eine anstehende Aufführung eine Aushilfe engagiert werden.

Sind Soli Teil des Stückes, ergibt es Sinn, sich bereits im Vorhinein zu überlegen, wer in der Lage ist, diese zu übernehmen. Um niemanden in der großen Runde in eine unangenehme Situation zu versetzen, kann ein*e Musiker*in dazu auch unter vier Augen angesprochen werden.

Besonders bei anspruchsvollen Stücken hilft es, im Vorhinein über eine Probenmethodik nachzudenken: Welcher Part wird zuerst geprobt? Spielen/Singen wir vom Blatt oder sollen alle ihre Stimme erst zuhause anschauen? Wird direkt im originalen Tempo geprobt oder zunächst ein langsameres gewählt? Welche Takte sind für welche Stimmen besonders kompliziert? Welche Übungen können schon zu Beginn der Probe beim Einspielen/Einsingen helfen, diese Stellen anschließend besser zu meistern?

Kommunikation in der Probe

Auch im sprachlichen Umgang mit dem Ensemble können kaum allgemeingültige Aussagen getroffen werden – je nach Niveau und persönlichem Verhältnis untereinander sollte die Kommunikation angepasst werden. Einige wesentliche Punkte können trotzdem helfen, sich insbesondere in der Probe mit Amateurmusiker*innen verständlich und angemessen auszudrücken:

  • Passen Sie sich als Dirigent*in sprachlich an die Altersgruppe an, die vor Ihnen sitzt.
  • Unterstützen Sie – wenn nötig – zu Beginn der Probe beim Stimmen der Instrumente und leiten Sie ein an das Niveau des Ensembles angepasstes Einsingen bzw. Einspielen
  • Passen Sie sich als Dirigent*in sprachlich an das Niveau an, dass mindestens im Ensemble herrscht. Überlegen Sie dabei, bis zu welchem Grad musikalische Fachbegriffe verstanden werden und wann Sie z.B. Ausdrucksbezeichnungen umschreiben sollten. Nicht immer reicht für jede*n Musiker*in ein (z.B. italienischer) Begriff, manchmal muss eine ausführlichere Erklärung folgen. Häufig hilft es dabei auch, kreativ zu sein und anschauliche Metaphern oder Vergleiche zu finden, um Ihre Erwartungen auszudrücken.
  • Drücken Sie sich wertschätzend und entsprechend sensibel aus – z.B. kann es sinnvoll sein, Stimmgruppen statt einzelner Personen anzusprechen, wenn Sie auf Fehler aufmerksam machen möchten. Die Musiker*innen wissen oft selbst, wann Sie sich verspielt oder einen falschen Ton gesungen haben. Das ist natürlich längst nicht immer der Fall und konkrete, höfliche Hinweise können im Einzelfall effektiver sein. In welcher Form Kritik geübt und Hinweise auf Fehler gegeben werden, spielt sich mit der Zeit ein und hängt sowohl von der Arbeitsweise des/der Dirigent*in ab als auch vom sozialen Klima und dem Umgang miteinander im Ensemble. Ob humorvoll oder direkt – beziehen Sie sich auf die Sache und werden Sie nicht persönlich.
  • Bleiben Sie geduldig und stellen Sie sich darauf ein, sowohl musikalische als auch organisatorische Ansagen häufiger zu wiederholen. Insbesondere im Amateurmusikensemble sind nicht zu jeder Probe alle anwesend. Hinzu kommt, dass Angaben zum musikalischen Ausdruck wie zur Dynamik, zu Artikulation, Intonation oder Ansagen zu Wiederholungen und Atemzeichen nicht immer von allen sofort erfasst bzw. notiert werden. So gehen Einigungen schnell verloren und müssen in folgenden Proben erneut angesprochen werden. Planen Sie entsprechend für jedes Stück ausreichend Zeit ein. Um dem ständigen Wiederholen entgegenzuwirken, bestehen Sie auf direktes Notieren von solchen Einigungen.

Rahmenbedingungen

Während Dirigent*innen, die in Konzert-, Opern-, Theaterhäusern oder bei Rundfunkanstalten angestellt sind oder in anderem Rahmen professionelle Musiker*innen leiten, häufig gewisse Voraussetzungen vorfinden, kann es bei Amateurmusikensembles je nach dessen finanziellen und personellen Ressourcen ganz anders aussehen.

Längst nicht jedem Ensemble steht ein optimal großer und ausgestatteter Proberaum oder sogar mehrere Räumlichkeiten (z.B. für Registerproben) zur Verfügung. Im professionellen Umfeld sind Bedingungen häufig scheinbar selbstverständlich von außen gegeben, die in der Amateurmusik verstärkt eigenes Engagement erfordern. Gefragt sind hier nicht selten auch die Dirigent*innen, die in organisatorische Aufgaben automatisch eingebunden sind – auch, wenn solche Details nicht unbedingt im Vertrag geregelt sind.

Hinzu kommt, dass ein Ensemble der Amateurmusik seiner/seinem Dirigent*in häufig nur einen Vertrag mit kleinerem zeitlichen und damit auch finanziellen Ausmaß ausstellen kann und will, als das im professionellen Umfeld der Fall wäre.

Fazit

Die Leitung eines Ensembles – egal ob aus professionellen Musiker*innen oder engagierten Amateuren bestehend – ist und bleibt eine individuelle, künstlerische und herausfordernde Aufgabe, die insbesondere auf persönlicher Erfahrung beruht und für die es kein Geheimrezept gibt. Die Aufgabe besteht stets darin, das Ensemble kennenzulernen, die Stärken herauszustellen, mit den Schwächen umzugehen, sich aufeinander einzulassen und voneinander zu lernen.

Judith Bock
Verband Deutscher KonzertChöre e.V.
Erstellt: Mai 2023