Vor allem in der Jugendarbeit ist dieser Austausch sehr wertvoll. Gemeinsames Musizieren fördert das soziale Miteinander und das Sozialverhalten Einzelner und trägt zur kulturellen Bildung bei. Dafür brauchen wir interkulturelle Kompetenz.
Inhalt
Was heißt Kultur?
Wenn wir von verschiedenen Kulturen sprechen, setzen wir oft Kultur mit Nation gleich: „Die“ griechische Kultur, „die“ lateinamerikanische Kultur… Unser Gehirn liebt es, Dinge schnell zu kategorisieren, damit wir uns in der Welt zurechtfinden. Doch die Wirklichkeit ist komplexer – „die“ typische Italienerin, „den“ typischen Deutschen gibt es nicht. Gemeinsamkeiten können unabhängig von der Staatsangehörigkeit sein, zum Beispiel nach Beruf oder Jugendsubkultur. So haben eine Geschäftsfrau aus Kenia und eine aus Deutschland womöglich mehr miteinander gemeinsam als eine deutsche Metallarbeiterin und eine deutsche Chefin. Oder Menschen fühlen sich der Barbershop-Szene zugehörig, die weltweit vernetzt ist. Es ist ein wichtiger Schritt, sich dessen bewusst zu werden, dass wir Dinge vereinfachen und Menschen schnell in „Länderschubladen“ stecken. Darum geht es beim interkulturellen Lernen.
Was heißt es, interkulturell kompetent zu sein?
Interkulturelle Kompetenz wird oft als sogenannte Schlüsselqualifikation angesehen. Zur Anwendung kommt sie zum Beispiel bei Auslandsreisen mit dem Ensemble oder einem Aus-tausch zwischen (Musik-)Gruppen. Auch bei Ensemblemitgliedern, die einen Migrationshin-tergrund haben, ist es wichtig, interkulturell kompetent zu handeln. Wir betrachten interkulturelle Kompetenz als ein Bündel verschiedener Kompetenzen. Interkulturelles Lernen ist der Weg dahin, um interkulturelle Kompetenzen zu schärfen. Zu interkultureller Kompetenz gehören Empathie (Einfühlungsvermögen) und die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln. Die eigene Meinung, die eigenen Erfahrungen nicht als allgemeingültig anzusehen, sondern relativieren zu können. Zu sich selbst zu stehen und gleichzeitig die Einstellungen und Wert-vorstellungen anderer zu respektieren – ohne sie für sich selbst annehmen zu müssen. Zu interkultureller Kompetenz gehört auch Ambiguitätstoleranz. Ambiguitätstoleranz bedeu-tet, doppel- oder mehrdeutige Situationen oder Themen zu ertragen (Toleranz kommt vom lateinischen tolerare = ertragen, aushalten, erdulden)[1], die nicht nach einem Entweder-oder-Schema gelöst werden können.
Wenn von Kultur oder unterschiedlichen Kulturen gesprochen wird, ist der Weg manchmal nicht weit zu Stereotypisierungen von Menschengruppen, die mit bestimmten kulturellen Kontexten verbunden werden. Was ist aber das Problematische an Stereotypen? Man könn-te sagen: Ist doch lustig, wir wissen doch alle, dass Stereotype nicht die ganze Wahrheit sind. Stereotype können jedoch eine Vorstufe von Vorurteilen und Diskriminierungen sein:
Stereotyp → Vorurteil → Diskriminierung.
„Stereotype sind positive und negative Eigenschaften und Verhaltensweisen, die mit be-stimmten […] Gruppen assoziiert werden. Sie können fremde soziale Gruppen (‚Die Franzosen sind besonders romantisch‘) oder die eigene Gruppe (Die ‚Deutschen sind besonders gehorsam‘) betreffen .“[2] Oft gibt es ein Einverständnis darüber, welche Stereotypen es gibt. So ist vermutlich den meisten, die das hier lesen, die Vorstellung ‚Briten sind besonders höflich‘ bekannt. Stereo-type mögen ein Körnchen Wahrheit enthalten – das bedeutet aber nicht, dass sie wahr sind. [3] Ein Stereotyp ist eine verzerrte, unvollständige Vorstellung über eine Menschengruppe [4].
Stereotype Vorstellungen können dazu führen, dass eine bestimmte Menschengruppe ab-gewertet oder aufgewertet wird – ein Vorurteil entsteht. Vorurteile sind „Meinungen oder Einstellungen über Personen, Gruppen oder Sachverhalte. Vorurteile stützen sich in der Re-gel auf verzerrte, lückenhafte oder sogar falsche Informationen und können durch selektive Wahrnehmung dieser Informationen aufrechterhalten werden; sie können sowohl positive als auch negative moralische Wertungen enthalten. In Bezug auf Fremde oder Fremdgrup-pen sind sie allerdings meistens negativ.“[5] „Alle Polen klauen Autos” ist ein Beispiel für ein solches Vorurteil.
Aus Vorurteilen kann (aber muss nicht zwangsläufig) diskriminierendes Verhalten entste-hen. Es kann also sein, dass Menschen aufgrund der Vorurteile, die sie über andere haben, diese ungerecht behandeln, es muss aber nicht so sein. Diskriminierung ist, wenn einzelne Personen oder Gruppen benachteiligt werden und nicht die Gleichbehandlung bekommen, die die ihnen von Rechts wegen zusteht (Artikel 3 Grundgesetz). Aus diesen Gründen ist es wichtig, Kinder, Jugendliche und auch Betreuer*innen für Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen zu sensibilisieren. Klar, über Vorurteile und Diskriminierungen zu sprechen ist aufreibend. Es ist jedoch wichtig, dass Ungleichbehandlungen nicht passieren, und dass Personen, die in ihrem Alltag Diskriminierung(en) erleben, sich in einer Gruppe, wie einem Ensemble, sicher fühlen können. Alle Menschen sollen möglichst gleichbehandelt werden, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer körperlichen Voraussetzun-gen oder ihrer Religion.
Veronika Schmitt
Deutsche Chorjugend e.V.
Erstellt: April 2021
Zuletzt bearbeitet: Mai 2023
Fußnoten und Quelle
[1] https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/tolerare
[2] Geschke, Daniel (2012): Vorurteile, Differenzierung und Diskriminierung – sozialpsychologische Erklärungsansätze, 5. Absatz.
[3] So kommen Terracciano et al. in ihrer Studie (2005) zu dem Ergebnis, dass stereotype Vorstellungen über Menschen bestimmter Nationen nicht stimmen.
[4] Adichie, Chimamanda (2009): Die Gefahr einer einzigen Geschichte (Rede). Englisches Original: The Danger of a Single Story. TED-Talk. https://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story (letzter Zugriff: 26.11.2018).
[5] Uslucan,Haci-Halil/Yalcin, Cem Serkan (2012): Wechselwirkung zwischen Diskriminierung und Integration – Analyse bestehender Forschungsstände Expertise des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Hrsg.: Antidiskriminierungsstelle des Bundes, S. 11.
Deutsche Chorjugend (Hrsg.): Internationale Chorbegegnungen – Förderung und Praxistipps, 1. Auflage, Berlin, 2019